Die göttliche Tugend des Glaubens

Die hl. Brigitta von Schweden, groß als vorbildliche Ehegattin und Familienmutter, noch größer als von Gott erleuchtete Witwe und Ordensstifterin, vergleicht einmal in ihren “Offenbarungen“ die drei göttlichen Tugenden mit drei Wurzeln, die den Lebensbaum des Christenmenschen tragen müssen: drei tiefgehende Wurzeln müsse dieser Baum haben, so schreibt sie da; erstens damit ihn der Maulwurf – sie meint dabei den Teufel, den bösen Feind mit seiner Bosheit und Hinterlist – nicht unterwühlen kann; zweitens damit diesen Lebensbaum der Sturm der Versuchungen und Widerwärtigkeiten nicht knicken kann; drittens damit ihn die Hitze und Schwüle der bösen Lust und Leidenschaft nicht ausdörren und austrocknen kann. Aus diesem dreifachen Grund brauche der Mensch die dreifache tiefgehende Wurzel des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

Schauen wir uns heute die erste dieser dreifachen Wurzel, die erste der drei göttlichen Tugenden, die übernatürliche Fähigkeit und Kraft zum Glauben näher an:

Was das Fernrohr, das Teleskop der Astronomen, für unsere Erkenntnisse im Bereich des Makrokosmos, und das Ultra-Mikroskop für unsere Erkenntnisse im Bereich des Mikrokosmos ist, das ist gleichsam die göttliche Tugend des Glaubens im Bereich der Gotteserkenntnis. Bleiben wir bei diesem Vergleich, denn er trifft, wie ich meine, die Sache, um die es hier geht: ich sehe mit meinen leiblichen Augen bei sternklarer Nacht eine Unzahl von Sternen, die ich ausnehmen kann; aber es ist nur ein winziger Bruchteil des Universums. Viel weiter reicht meine Sicht in die Wunderwelt des gestirnten Himmels, wenn ich mit einem Riesenfernrohr arbeiten kann. Mit meinen leiblichen Augen sehe ich auch noch einiges in der Welt des Mikrokosmos, aber das allermeiste entgeht mir dabei, was die Mikroben und Bazillen und erst recht, was die Zusammensetzung der kleinsten Dinge in ihrem atomaren Aufbau betrifft, eine Wunderwelt, die ich nur mit dem feinsten Apparat des präzisesten Ultra-Mikroskops wahrnehmen kann.

So ist es mit der Erkenntnis Gottes und der übernatürlichen Wahrheiten: Mit meiner sinnlichen Erkenntnisfähigkeit durch Auge und Ohr kann ich diesbezüglich gar nichts wahrnehmen: was Gott und die göttlichen Dinge betrifft, so erkenne ich durch die sinnliche Erkenntnis und Wahrnehmung mit meinen Sinnen von Gott gar nichts, weil Gott ja unsichtbar und reinster Geist ist; da kann der bekehrte französische Kommunist André Frossard in seinem wirklich lesenswerten Buch, das ein Bestseller geworden ist, noch so sehr behaupten: „Gott existiert. Ich bin ihm begegnet“, es geht dabei doch niemals um eine sinnliche Wahrnehmung und Erfahrung Gottes.

Wir Menschen haben aber über die sinnliche Erkenntnis hinaus noch die Vernunfterkenntnis. Mit meiner Vernunft kann ich aus den Geschöpfen auf einen Schöpfer schließen und die Existenz Gottes erkennen und dazu auch noch einiges an Gott selber erfassen, aber diese meine natürliche Gotteserkenntnis mit dem Licht meiner Vernunft ist sehr begrenzt und mangelhaft und mit der Rätselhaftigkeit, Spiegelhaftigkeit und Stückhaftigkeit belastet, wie der hl. Paulus im 1 Kor 13 schreibt: „Jetzt erkennen wir nur wie durch einen Spiegel, rätselhaft“ und „Stückwerk ist unser Erkennen schon im natürlichen Bereich in Bezug auf Gott und das Göttliche erst recht.

Da schenkt uns nun Gott in der göttlichen Tugend des Glaubens die großartige Fähigkeit, Wahrheiten an ihm und im übernatürlichen Bereich zu erfassen und irrtumsfrei zu bejahen, die wir ohne diese uns eingegossene Tugend des Glaubens entweder überhaupt nicht oder nur sehr mangelhaft erkennen würden.

Ohne die göttliche Tugend des Glaubens würden wir z.B. nur sehr mangelhaft den Sinn unseres kurzen Erdenlebens erfassen und verstehen. Mit dem Fernrohr der göttlichen Tugend des Glaubens aber dringen wir hinein in die Wunderwelt der Geheimnisse Gottes! Mit dem Mikroskop der göttlichen Tugend des Glaubens erfassen wir Dinge, die unserer sinnlichen Erkenntnis und auch noch unserer Vernunfterkenntnis vollkommen verborgen blieben. Der hl. Bernhard von Clairvaux hat einmal in seiner großartigen Erklärung des Hohenliedes gesagt: „Der Glaube erfasst, was unnahbar ist, der Glaube erkennt, was unergründlich ist, der Glaube durchdringt, was unermesslich ist, der Glaube erforscht, was tief verborgen ist und umspannt gewissermaßen mit seiner Fassungskraft Gott selbst und sein ewiges göttliches Sein“ (in Cant. 76,6)

Die göttliche Tugend des Glaubens gibt unserem Verstand aber nicht bloß eine ganz neue Tiefendimension des Erkennens, sie erschafft unserem Willen dabei auch Kraft und Trost: Die durch den Glauben vermittelten tiefen Überzeugungen stärken den Willen in ganz besonderer Weise, denn der Glaube zeigt uns, was Gott für uns Menschen schon getan hat und nicht aufhört, noch weiter für uns zu tun; der Glaube zeigt uns, wie Gott in unserer Seele lebt und wirkt, um sie zu heiligen; der Glaube stellt uns überdies als Frucht aller unserer sittlichen Anstrengungen und Opfer, die wir aus Liebe zu Gott und in Treue gegen seine Gebote auf uns nehmen, den ewigen Lohn vor Augen, sodass wir dann aus dem Glauben heraus mit dem hl. Paulus (Röm. 8,18) sagen können: „Ich halte dafür, dass die Leiden dieser Zeit gar nicht zu vergleichen sind mit der zukünftigen Herrlichkeit“, die uns einmal zuteilwird.

Und wenn wir auch gar manchmal unsere menschliche Schwachheit und Armseligkeit zu spüren bekommen, so erinnert uns der Glaube doch immer wieder daran, dass Gott selbst unsere Kraft, Stärke und Stütze ist und dass wir darum letztlich nichts zu fürchten haben, selbst wenn die ganze Welt und der Teufel sich gegen uns verschwören sollten. Denn „das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube!“ (1 Joh 5,4).

Wie wird der Glaube, diese Fähigkeit, alles im Lichte der Ewigkeit zu sehen, auch zum Trost, wenn Schicksalsschläge daherkommen und beispielsweise der Tod uns einen lieben Freund, einen lieben Angehörigen entreißt! Wir wissen ja dann auf Grund der göttlichen Offenbarung, dass der Tod nicht radikales Ende und nicht endgültige Trennung von unseren Lieben bedeutet, sondern nur das Tor hinein in das wahre, bleibende, ewige Leben ist, und dass es die Auferstehung und das Wiedersehen gibt. Diese göttliche Offenbarung und Verheißung vermag ich auf Grund der göttlichen Tugend des Glaubens irrtumsfrei zu bejahen; und ich bin mir dieser Wahrheit dann so sicher, wie wenn es um die Wahrheiten des Einmaleins ginge. Da kann mich letztlich nichts irremachen, ich bin durch und durch überzeugt davon. Für die Wahrheit dessen, was wir im Glauben mit Hilfe der göttlichen Tugend des Glaubens bejahen, tritt ja Gott selbst als Bürge ein, der allwissende und unendlich wahrhaftige, bei dem jedes Wort lauterste Wahrheit ist. Ich wage zu behaupten: Gott selbst kann im Besitz der von ihm erkannten Wahrheit nicht sicherer sein, als wir es sind, wenn wir uns in der Kraft der von ihm geschenkten göttlichen Tugend des Glaubens vollkommen an Gottes Offenbarungswort anschließen und daran halten!

Die göttliche Tugend des Glaubens kann schließlich auch noch, wenn sie richtig betätigt wird, zur Quelle vieler Verdienste werden. Es ist ja schon jeder durch die göttliche Tugend des Glaubens ausgelöste Glaubensakt überaus verdienstlich. Warum und wieso? Ganz einfach deshalb, weil ich im Glaubensakt das beste in mir, meinen Verstand und meinen Willen in aller Demut der Autorität Gottes unterwerfe, und dabei alle Selbstherrlichkeit aufgebe und mich ganz und gar Gott anvertraue, der nicht irren und nicht irreführen kann.

Von der göttlichen Tugend des Glaubens her werden auch alle übrigen sittlichen Akte der Liebe, der Güte, der Geduld, des Gehorsams usw., die wir als Christen setzen, verdienstlich, denn der Glaube, der unsere Seele auf Gott hin orientiert, bewirkt, dass wir in allem nach übernatürlichen Gesichtspunkten handeln.

Durch die göttliche Tugend des Glaubens und ihre Betätigung in den Glaubensakten erkennen wir auch auf der einen Seite die eigene menschliche Unfähigkeit, das letzte, endgültige, unsagbar große, herrliche Ziel der beseligenden Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht in der himmlischen Herrlichkeit zu erreichen, wir erkennen dabei auf der anderen Seite aber auch die ergreifende Bereitschaft Gottes, uns mit seiner Gnade immer wieder zu helfen, dass wir trotz unserer Unfähigkeit, Armseligkeit und Sündhaftigkeit das Ziel auch wirklich erreichen. So veranlasst uns der Glaube auch, eifrig um die Erlangung der so notwendigen Gnade, ohne die das letzte Ziel nicht erreicht werden kann, zu beten.

Die göttliche Tugend des Glaubens ist eine wunderbare Sehkraft, die Gott uns seelisch blinden Menschen am Anfang unseres Christenlebens in der hl. Taufe geschenkt hat, um uns von aller Blindheit zu heilen und sehend zu machen.